Leinen los zur Weltkarriere! 

Lois Boisson dosiert ihre Emotionen sehr sparsam. Die Französin ist ein Muster an Coolness. Doch am Sonntagnachmittag brach es dann doch aus ihr heraus: Ein Schrei, eine in den Himmel gestreckte Faust. Und ein dankbares Winken auf alle vier Tribünen am Rothenbaum, von denen ihr tosender Applaus entgegenbrandete. Denn in Hamburg hat Lois Boisson den ersten großen Titel ihrer Karriere gewonnen. Sie besiegte in einem packenden Finale die Titelverteidigerin Anna Bondar mit 7:5 und 6:3. Zur Belohnung gab es eine Siegprämie von 31565 Euro – und ein Explora-Kreuzfahrt-Voucher. Also ab Hamburg Leinen los für eine ganz große Karriere!

„Für mich ist Lois eine Spielerin, die das Potenzial hat, in die Top 10 der Weltrangliste einzuziehen“, sagt Turnierbotschafterin Andrea Petkovic. Der Trend stimmt: Boisson ist inzwischen innerhalb eines Jahres von Rang 361 auf aktuell Platz 44 vorgeprescht.

Durch den Boisson-Triumph setzt sich eine Serie fort. Seitdem das Turnier in Deutschlands größtem Sandplatz-Stadion im Jahr 2021 wiederbelebt wurde, gibt es jedes Jahr eine neue Titelträgerin. „Ich bin sehr glücklich, dass ich hier gewinnen konnte“, so Boisson. Dabei sah es eingangs der Partie wahrlich nicht nach einem Erfolg für die Halbfinalistin der French Open aus.


Anna Bondar kam viel besser aus den Startlöchern, führte nach 15 Minuten mit 4:0. „Ich fühlte mich anfangs nicht wohl und musste etwas ändern“, so Boisson. Das gelang ihr: mehr Variationen, mehr Härte und Länge in den Schlägen. Und so drehte sie einen Satz, der verloren schien. Beim 5:5 glich sie aus, siegte daraufhin mit 7:5.


Beide Kontrahentinnen scheuten nicht das Risiko, boten weiterhin Angriffstennis. Doch Bondar kam nicht mehr zurück in die dominierende Rolle der Anfangsphase. Und so triumphierte Lois Boisson mit 6:3.
„Lois ist eine phantastische Spielerin“, gratulierte Bondar fair. Danach liefen ihr eine paar Tränen über die Wangen. Es war eine emotional aufwühlende Turnierwoche für die Ungarin gewesen.


Und sie musste sich wieder schnell fokussieren: Denn auch im Doppel ging es für Bondar – an der Seite von Arantxa Rus (Niederlande) – um die Titelverteidigung. Auch die misslang. Beide verloren gegen das ukrainisch-japanische Doppel Nadiia Kichenok/Makoto Ninomiya mit 4:6 und 6:3 und 9:11 im Match-Tiebreak – in dem sie zwei Matchbälle vergaben.

Auf der Abschluss-Pressekonferenz waren die Gesichter ähnlich strahlend wie das von Lois Boisson bei der Siegerehrung auf dem Center Court. Turnierdirektorin Sandra Reichel konstatierte: „Wir haben hier teilweise Weltklasse-Tennis auf höchstem Niveau gesehen. Das war richtig großer Sport.“


18.000 Zuschauer hatten in der Turnierwoche den Weg zum Rothenbaum gefunden, die TV-Bilder gingen in fast 200 Länder der Welt. „Dieses Turnier hat auch international eine enorme Strahlkraft“, weiß Reichel und verspricht: „Wir wollen noch weiter wachsen, damit die MSC Hamburg Ladies Open noch mehr zum Fixpunkt im internationalen und Hamburger Sportjahr werden.“
Angedacht ist, schon im nächsten Jahr ein Rollstuhl-Turnier mit Preisgeld und Weltranglisten-Punkten auszurichten. Darüber wird bereits mit dem Tennis-Weltverband ITF verhandelt.
Dietloff von Arnim, der Präsident des Deutschen Tennisbundes (DTB) sieht das Turnier auf einem sehr guten Weg und verriet: „Ich weiß, dass auch der Titelsponsor MSC sehr zufrieden ist.“ Das ist elementar für die Entwicklung des Turniers.


Zudem gibt es natürlich den gemeinsamen Wunsch, dass in Zukunft auch deutsche Spielerinnen am Rothenbaum erfolgreich sind. In diesem Jahr waren sieben DTB-Profis im Hauptfeld und sechs in der Qualifikation gestartet. Zwar fand das Achtelfinale dennoch ohne deutsche Beteiligung (auch weil Eva Lys, Laura Siegemund und Ella Seidel nicht antreten konnten) statt, aber als Bühne für deutsche Spielerinnen sollen die MSC Hamburg Ladies Open weiter gesetzt bleiben. Zumal von Arnim Mut machte: „Viele deutsche Spielerinnen sind auf dem Weg nach oben.“
Andrea Petkovic war direkt von Wimbledon an den Rothenbaum gereist – und war beeindruckt vom Level, auf dem gespielt wurde: „Das war Weltklasse. Wir hatten eine sehr, sehr positive Turnierwoche.“ Und zwar nicht nur aus sportlicher Sicht: „Am meisten hat mich der Anblick dieser vielen Kinder und Jugendlichen gefreut. Das ist die Zukunft.“
Eine Zukunft „für die wir noch viele Ideen haben“, wie Sandra Reichel versprach. Das wiederum hörte DTB-Präsident Dietloff von Arnim sehr gerne: „Unser ganz großer Dank geht an Sandra Reichel und ihr Team für das, was sie hier auf die Beine stellt.“

Dankbar war auch Tommy Haas. Dass er mal wieder am Rothenbaum spielen durfte. In der Hansestadt geboren, in der Welt zuhause. Tommy Haas ist einst von Hamburg ausgezogen, um einer der besten Tennisspieler seiner Generation zu werden: Rang zwei in der Weltrangliste, Wimbledon-Halbfinalist, Olympia-Silber. Inzwischen ist er 47 Jahre alt.


Aber beim Exhibition-Match gegen Dominic Thiem (31), den US-Open-Sieger von 2020, spielte Haas, als sei er einem Jungbrunnen entsprungen: beweglich, athletisch – beeindruckend. Haas siegte mit 6:2 und 6:4.
Über eine Stunde hatten die beiden ehemaligen Weltklasse-Spieler beste Unterhaltung geboten – als Anheizer für das Frauen-Finale – und hernach verriet Thiem: „Ich hätte Tommy vor einigen Jahren gerne als Trainer gehabt, das hatten wir überlegt.“ Das kam letztlich nicht zustande, aber – so Haas – „ich bin und war immer ein Fan von Dominic als Spieler und Mensch“.

Dominic Thiem und Tommy Haas, zwei Spieler, die sich jahrelang in der Tennisweltspitze gehalten haben. Lois Boisson hat mit ihrem Triumph in Hamburg erstmals die Top 50 der Welt erreicht. Wo wird sie stehen bei der Verteidigung ihres Titels bei den MSC Hamburg Ladies Open 2026?